
Ein typisches Beispiel ist die Reaktion vieler, wenn ein Kind sich weh tut: „Ist nichts passiert!“. Da frage ich mich jedes Mal: Würde diese Person einem guten Freund diesen Satz auch sagen, wenn er offensichtlich etwas sehr Unangenehmes erfahren würde?
Das Buch „Au coeur des émotions de l’enfant“ (Inmitten der Emotionen des Kindes, eigene Übersetzung) von Isabelle Filliozat, einer französischen Psychotherapeutin hatte mich vor Jahren schon sehr inspiriert. Ich nahm mir ihre Thesen und Empfehlungen im Umgang mit Kindern zu Herzen: Die Auswirkungen sind verblüffend und gleichzeitig nachvollziehbar.
Beispiel
Ein 4-jähriges Kind beginnt zu weinen, weil seine Mutter weg muss. Die Oma versucht, das Kind mit verschiedenen Argumenten zu beruhigen: „Die Mama kommt doch bald wieder!“, „Es geht nicht anders!“, „Sie muss doch zu diesem Termin/auf die Arbeit, sonst…!“ usw. Das Kind schreit immer mehr, die Situation eskaliert, die Nerven liegen blank. Glauben Sie mir: Das Kind lässt sich leichter beruhigen, wenn die Oma sagt: „Oh ja, das ärgert dich jetzt, dass die Mama nicht bleibt und es macht dich auch ein wenig traurig, deswegen musst du ja weinen. Ich bin ja da und wenn du einverstanden bist, nehme ich dich in den Arm und tröste dich. Oder ich warte, bis du fertig geweint hast.“
Hintergrund
In allen Situationen, in denen Kinder (oder Menschen überhaupt) Angst, Ärger, Wut oder Trauer empfinden, sind Anteilnahme und Anerkennung dieser Emotionen die beste Reaktion, die wir zeigen können. Der Mensch möchte in seinem Erleben gesehen und angenommen werden. Sonst wird wütend - wütender, traurig - trauriger, ängstlich - ängstlicher. Auch wenn wir in dem Moment kein Verständnis für den kindlichen Gefühlsausbruch oder dessen Ursachen haben, können wir ihn trotzdem benennen (bei kleinen Kindern besonders wichtig) und annehmen. Es ist viel effektiver, einen kurzen Satz, ein Wort der Anteilnahme auszusprechen und dann still abzuwarten: „Ja, ich sehe dich und deine Wut und kann die Situation akzeptieren und aushalten!“ Damit handeln wir mit Wertschätzung und Souveränität –„Ich, als Erwachsene/r, lasse mich von deinen Gefühlen nicht überwältigen und bleibe stark an deiner Seite“.
(Ab-)Wertung, vorgefertigte Lösungen, Beschwichtigung und Verleugnung sind kontraproduktiv. Wenn Klärungsbedarf besteht, sei es über die Gründe der Emotion oder über zukünftige Bewältigungsstrategien, ist ein Gespräch erst dann sinnvoll, wenn das Kind sich beruhigt hat!
In diesem Sinne...
...wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie beispielsweise einen guten Start in das neue Schuljahr, mit Mut und Neugier für neue Herausforderungen: Falls Ihr Kind an dem Sonntag davor oder an dem Montag Unmut oder Angst ausdrückt, bleiben Sie ruhig und zeigen Sie Verständnis. Sagen Sie nur: „Ja, schade, dass die Ferien schon vorbei sind, es war so schön!“ oder „ Das ist ja aufregend, in eine neue Schule zu gehen, viele neue Leute kennenzulernen und sich an einen neuen Rhythmus zu gewöhnen!“. Egal ob nach den Ferien oder nach einem stinknormalen Wochenende, egal bei welcher Gelegenheit Ihr Kind unangenehme Gefühle ausdrückt, bleiben Sie ruhig und gelassen:
Vielleicht erzählt Ihr Kind etwas von seinen Empfindungen und Gedanken und lernt, sie dadurch zu sortieren. Sie brauchen dabei nichts zu tun, nur zuhören und da sein. Der Rest ergibt sich von allein! Und lassen Sie ein für alle Male den Satz "Indianer kennen kein' Schmerz" in der Schublade der veralteten Erziehungsmethoden!
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